Oneness – Einheit. Kirchentag 2013 in Hamburg.

„Soviel Du brauchst“

Gemeinsam singen

Kennen Sie das Gefühl, in einer Menge von Tausenden Menschen „Der Mond ist aufgegangen“ zu singen? Am Hamburger Hafen – oder vor dem im Licht erstrahlenden Hamburger Rathaus? Jeder mit einer Kerze in der Hand? Zehntausende kleine Flammen, jede für sich ein Hoffnungsschimmer?

RathausKirchentag2013

Im Moment ist eine wunderbare Gelegenheit, das zu erleben. Kirchentag in Hamburg. Bei schönstem Wetter. Blauer Himmel und die Sonne lacht uns freundlich und wärmend entgegen. Als hätte der liebe Gott es extra so eingerichtet.

Eröffnungsgottedienst

Sommer

Bestimmt ist das auch so. Lange haben wir auf den Frühling gewartet, und auch jetzt sind die Nächte noch kalt. Aber tagsüber lacht die Sonne vom Himmel als würde sie sagen, ICH BIN DA, weil Ihr mich braucht. Die Stadt ist voll. Manchen zu voll. Am Abend der Begegning war es auch mir zuviel. Wir versuchten zuerst zu Dritt, dann zu Zweit, irgendwie durchzukommen. Vom Hamburger Rathausmarkt zu Hafen-City.

So wie im Leben

Ist das nicht so wie im Leben? Man versucht, „irgendwie durchzukommen“. Nicht immer leicht. Immer wieder gibt es Engpässe, genau wie im Leben. Am Hopfenmarkt zum Beispiel. Dichtgedrängt geht es durch die Buden hindurch. Und dann war da ja noch die Sache mit den Essensbons. Aber davon erzähle ich ein andernmal. Ja, man kann kaum noch selbst das Ziel bestimmen, sondern wird geschoben, gedrückt. Vor mir gerade wieder jemand mit einem großen, fest gespackten Rucksack, dreht er/sie sich um, wird man schmerzhaft getroffen, wenn man nicht die nötige Distanz hält. Aber wie soll ich? Hinter mir ein ältere Mann, der mir seinen Bauch immer mal wieder in den Rücken schiebt. Angenehm ist das nicht. Wie befreie ich mich aus der Menge, um Platz zu bekommen, mein Tempo und meinen Weg gehen zu können? Lieber Gott hilf mir! Gib mir Platz und Freiraum, soviel ich brauche!

Wundertüte

Es begann sehr schön, auf dem Hamburger Rathausmarkt. Einer der vier Eröffnungsgottesdienste. Wir sind rechtzeitig da und schauen uns um, orientieren uns. Wir bekommen eine weisse Papiertüte, aus der ein länglicher Flyer hevorlugt. Die Ordnung des Gottesdienstes mit den Liedern. WUNDERTÜTE steht drauf gedruckt. Und tatsächlich, beim genaueren Hinschauen entdecke ich, da ist noch mehr in der Tüte! Sand… nicht mal eine Handvoll – und doch Tausende von Körnchen. Wozu das denn fragt man sich. Während der Feier dürfen wir den Sand in die Hand nehmen, fühlen, vielleicht durch die Finger rinnen lassen und uns ein Bild dazu machen. Wofür stehen die viele Körnchen, was brauche ich, was wünsche ich mir? In meinem Kopf ist es sofort da, so viel Liebe wie diese Körnchen möchte ich leben, schenken und auch bekommen. So viele Menschen möchte ich verbinden, wie diese Sandkörner. Dicht zusammen und doch jedes für sich. Wie hier in der Menschenmenge. Ich lasse den Sand nicht auf den Boden rinnen sondern nehme ihn mit nach Hause, er kommt auf den Muschelteller mit der Kerze.

Gemeinsam glauben

Wir haben glücklicherweise genug Platz zum Stehen, auch wenn mir mein Mann zu weit weg ist. Es ist doch nicht mal ein Meter! Aber ich möchte ihn direkt an meiner Seite, gerade hier gerade heute. Was für ein Segen, dass wir uns im Glauben verstehen, dass wir eins sind zu Zweit mit unsere Haltung zu Gott und Kirche. Das wird mir bewusst, als ich mit einer Freundin spreche. Sie hat da eine so ganz andere Haltung. Die Massen nerven sie, nirgends kommt man durch. Sie wird froh sein, wenn alle Besucher wieder weg sind. Schade, finde ich. Ich freue mich über viele kleine Gespräche mit Menschen, die extra gekommen sind, um hier gemeinsam Kirchentag zu feiern. Aus Heidelberg treffen wir eine Pastorin und eine Prädikantin, als wir in einem Lokal schnell einen Wein trinken, weil wir mal müssen… 😉 Und dann überall diese blauen Schals! Wie eine Seuche. Aber ich sehe es eher, wie ein Zeichen. Ein Zeichen der Zusammenghörigkeit im Glauben. Bei aller Verschiedenheit.

Freiheit und Gemeinschaft

Ich gebe zu, auf dem Weg zum Hafen und besonders auf dem Hopfenmarkt geht es mir auch so. Es ist mir zu voll. Ich möchte mich befreien aus der Masse, hervorheben – und auch meinen Weg gehen. Und doch ist da auch die andere Seite. Geborgenheit, ein Ziel letzten Endes. Bekommen, was ich brauche. Als Geschenk von Gott. Liebe, Zuwendung, Gemeinschaft. Andere Menschen. Ja, auch die brauche ich. Und jemanden, der mich auf meinem Weg begleitet. An meiner Seite ist und (hoffentlich) bleibt, solange wir leben. Und einen, der von oben schaut, dass immer wieder alles gut geht in meinem Leben. Dafür bin ich dankbar und möchte es noch viel mehr zeigen und immer daran denken. Dankbar für eine gesunde Familie, einen Mann, der mich liebt, wunderbare Kinder, die nun schon eigene Wege gehen.

Irgendwie durchkommen

Kommen wir noch einmal zurück zum Hopfenmarkt. Irgendwie kriege ich kaum noch etwas mit von dem Angebot in den Buden, an denen wir uns entlang schieben. Nur irgendwie durchkommen! Mehrfach möchte ich mich lösen aus der Masse, dort gehen, wo man Platz hat – aber wir wollen ja zur Hafencity. Und wir möchten sehen, was die vielen Menschen aus dem neuen großen Kirchenkreis Nord in den Zelten uns zeigen. Sie haben ihre Spezialitäten mitgebracht und Informationen über die Gegenden, woher sie kommen. Usedom zum Beispiel. Dorthin haben wir unsere Hochzeitsreise gemacht und auch schon einmal Sylvester gefeiert. Bethanienruh, ein christliches Hotel. Mit Morgenandachten!

Endlich sind wir an der großen Ausfallstrasse angekommen, die heute für Autos gesperrt ist. Sonst rauscht hier der Verkehr heftig, Tag und Nacht. Heute ist die Strasse voller Menschen. Ein ungewöhnliches, schönes Bild. Auch hier wieder : blaue Schals. Hier ist eine Bühne, ein Gospelchor singt fröhlich. Viele singen mit, tanzen. Wir hören eine Weile zu und dann gehts weiter. Jenseits der Strasse endlich Platz zum gehen. Ein Aufatmen!

Gemeinsam singen

Als es langsam dunkel wird, bekommen wir an den Magellan-Terassen ein Kerze in die Hand, eine geniale Konstruktion mit Papiertüte – damit der Wind die Kerze nicht ausbläst – und mit einer Manschette, die die Kerze hält. Ein unbeschreibliches Gefühl. hier am Grasbrookhafen um das Hafenbecken herum zu stehen mit Tausenden anderen Menschen, alle mit einem Licht in der Hand, und gemeinsam zu singen. Das Gefühl, mit so vielen eins zu sein, ein Ziel, ein Glauben letzen Endes, der nur unterschiedlich ausgeprägt ist. Gemeinschaft, Gemeinsamkeit, trotz Individualität. Das ist Kirchentag in Hamburg 2013. Die U-Bahn ist zu voll, zwei müssen wir weiterfahren lassen, bis wir einsteigen können und uns in die Menge drängen. Die Füsse tun weh und ich freue mich, als ich in der S-Bahn einen Sitzplatz bekomme. Meine Nachbarin bietet ihren Mitfahrerinnen Rosinen aus einer Tüte an. Auch dem neben mir Sitzenden, auch mir, obwohl wir gar nicht dazugehören. Oder doch? Beim Kirchentag, ja! Laßt uns etwas davon mit hinübernehmen in den Alltag nach dem Kirchentag. Teilen, miteinander lachen, miteinander singen. Gelebtes Christentum. Nächstenliebe.

Soviel Du brauchst!


Renate Witt-Frey, veröffentlicht im Mai 2013, überarbeitet im Dezember 2021

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